Mit-mensch oder Ohne-mensch

Betrachtet man die einzelnen Diagnosekriterien, die für eine Autismus-Spektrum-Störung notwendig sind für sich und wendet für jedes einzelne Kriterium eine entsprechende Skalierung an, lassen sich Betroffene in völlig unterschiedlichen Ausprägungen auf verschiedenen Ebenen angliedern. Während der eine aufgrund seiner Hypersensibilität sich oft in Reizüberflutungszuständen (overload) befindet, ist ein anderer möglicherweise in erster Linie an so starre Rituale gebunden, dass es einer Zwangsstörung ähnlich sieht.
Zusätzlich sind die Kriterien aber auch bei ein und der selben Person an unterschiedlichen Tagen oder in gewissen Situationen verschieden stark ausgeprägt.
Eine eindeutige Zuordnung oder sogar die Aussage ob jemand „mild“ oder „schwerer“ betroffen sei, relativiert sich in dem Moment, wo ein sogenannter „milder“ Asperger in einem Overload gerät.


Seine sonst so guten Verbergungs- und Anpassungsstrategien versagen unmittelbar in einem solchen Zustand und er zeigt mitunter auf der gesamten Bandbreite der genannten Kriterien seine wahre (autistische) Persönlichkeit.
Die Anpassungsstrategien die autistische Menschen im Laufe der Jahre entwickeln sind manchmal enorm.
Sie haben Vor-und Nachteile.
Die Vorteile sind schnell genannt.

Sie lassen die Betroffenen weitgehend unautistisch wirken und auch nur dadurch teilhaben an der Gesellschaft.
Sie lassen ihn tauglich erscheinen für die Norm, tauglich für den Alltag.
Wie weitreichend die Anpassung gelingt hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Zum einen sicher von der Ausprägung des Spektrums und der Kombination der jeweiligen Einzelkriterien.
Aber auch von den unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten, dem jeweiligen psycho-sozialen Kontext, wie Alter, Bildung und Umfeld, sowie persönliche Charaktereigenschaften.

Um Anpassung habe ich mich auch stets bemüht.mitmensch
Denn angepasst bin ich ein „Mit-mensch“.
Und da ich lieber ein „Mit-mensch“ bin als ein „Ohne-mensch“, kann ich also nicht generell sagen, dass es schlecht sei, sich zu bemühen weitgehend unautistisch und angepasst zu verhalten.
Es kostet allerdings erheblich viel Kraft und es erschöpft, je größer die Bemühungen ausfallen müssen, meine sämtlichen Ressourcen. Die Folgen sind nicht unerheblich für meine kontinuierliche Funktion und für die eigene Gesundheit.
Das ist der erwähnte Nachteil, von dem ich vorhin sprach.

Fragt man unter den Betroffenen nach der subjektiven Einschätzung des eigenen „Leidens“, so ist bei unterschiedlicher Ausprägung doch eine Aussage identisch:

Ich leide nicht unter meinem Autismus, sondern an der nichtautistisch ausgerichteten Welt und deren mir oft unverständlichen und nicht zugänglichen Anforderungen.“